Reisebericht: Urlaub bei den Ziegen
Es ist ein Scharren und Meckern, ein Klappern und Toben, als die Ziegenwirtin mit zwei Trögen frischer Milch den Stall betritt. Aufgeregt wedeln die jungen Ziegen durch ihre Boxen, ohne Rücksicht auf Verluste. Eimer werden umgekippt, es wird geschubst, gedrängelt, über Tröge und Futterstellen gesprungen. Doch es hilft alles nichts. In Ruhe dreht die Bäuerin ihre Runde von Box zu Box – wie jeden Abend. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die kleinsten Ziegen, die ganz verschlafen im Heu liegen und ihre Äuglein für den abendlichen Happen eigentlich gar nicht mehr öffnen möchten.
Plötzlich macht sich eine ältere Ziege an den beiden Trögen zu schaffen. Ihr ist es gelungen, in einer waghalsigen Unternehmung aus ihrer Box auszubrechen. Jetzt braucht die Bäuerin Hilfe: „Alle Kinder hergekommen! Einmal den Ausreißer umstellen, bitte!“ Nach einem kurzen Moment der Unsicherheit beginnen die Kinderaugen zu leuchten, der Puls schnellt in die Höhe. Doch dem ersten Enthusiasmus weicht die Ratlosigkeit: Wie nur packt man den Eingekreisten? Vorsichtig gleitet ein Arm unter den Brustkorb der Ziege, ein zweiter Arm umschlingt ihren Korpus und behutsam mit mehreren Anläufen wird die Ziege in die Box zurückgehoben.
Keine Minute später steht der Schlingel schon wieder am Trog. Die Bäuerin zögert nicht, packt die Ziege gekonnt im Nacken und schon landet das Tier in einer anderen Box, aus der es an diesem Abend nicht wieder ausbüchsen kann.
Es ist Ende März, die Sonnenstrahlen kribbeln auf der Nase und die Temperaturen klettern zum ersten Mal in diesem Jahr in den zweistelligen Bereich. Kurzentschlossen starten wir zu einem Wochenende auf der Ziegenalm in Sophienhof. Wir wollen wandern. Die Wanderung 7 aus unserem Buch „Mit Volldampf durch den Harz“ eignet sich super für Kinder: 5,5 Kilometer Waldweg, ein Bergwerksbesuch und zurück mit den Harzer Schmalspurbahnen. Mit dem Höhenprofil im Buch entscheiden wir uns, bergab zu laufen und zurück zu fahren.
Von der Alm geht’s ins Tal
Wir frühstücken in der gemütlichen Gastwirtschaft der Alm und stärken uns mit leckeren Produkten vom Hof – verschiedene Käsesorten, hausgeschlachtete Wurst, frische Eier und Milch. In der Ecke knistert leise das Feuer im Lehmofen.
Mit gepackten Rucksäcken machen wir uns anschließend auf den Weg. Wir wandern ein Stück über die Alm, tauchen in den Wald ein und begleiten einen Gebirgsbach auf einem wunderschönen, schmalen Pfad in Richtung Tal. Wir passieren beeindruckende Felsformationen und bestaunen riesige, freiliegende Wurzeln. Schließlich gelangen wir an die Straße Richtung Netzkater und an die Gleise der Harzquerbahn, denen wir bis zum Eingang des Rabensteiner Stollens folgen.
„Glück Auf!“ im Rabensteiner Stollen
Der Verein, der das Museum unterhält, beschreibt den Rabensteiner Stollen als „Erlebnisbergwerk“. So will man wohl auch Kinder und Jugendliche für die Geschichte des Bergbaus in Netzkater begeistern. Mit einem kräftigen „Glück Auf!“ begrüßt uns Paula, ganz wie es unter Bergleuten üblich ist. Die freundliche, junge Frau führt uns an diesem Sonnabend durch den Stollen. Jeder setzt sich einen Helm auf und sucht sich einen Platz in der Grubenbahn. (Tipp: Meist gibt es die Helme vor Ort nur in Einheitsgrößen. Sind die Kinder noch sehr klein, lohnt es sich daher den eigenen Fahrradhelm dabei zu haben. Der verrutscht nicht.) Wir drehen eine etwa 500 Meter lange Runde durch die Dunkelheit des Bergwerks. Danach erkunden wir den Stollen zu Fuß. Paula beschreibt uns anschaulich die Motivation für den Bergbau in Netzkater und erläutert kurzweilig-selbstironisch, wie sich der Abbau der Steinkohle hier entwickelt hat. Danach wird es sportlich für uns. Wir hieven ein neben den Schienen geparktes Draisinen-Fahrrad auf die Gleise. Dann drehen alle Besucher jeweils zu zweit eine Bergwerksrunde mit einem kräftigen Tritt in die Pedale. Super! Anschließend dringen wir weiter in die Tiefen des Berges vor, erfahren eine Menge mehr über das Leben und die Arbeit untertage, und werden selbst in die Lage eines Bergarbeiters im 18. Jahrhundert versetzt. Im Stockfinsteren müssen wir einen 90 Meter langen Stollen mehr tastend als sehend und immer in geduckter Haltung passieren. Und 90 Meter können echt lang werden! Unser Kleiner hält tapfer durch – auch dank mehrerer Strophen vom Lied „Alle meine Entchen“. Die Erwachsenen hinter uns schummeln ohnehin schon, indem sie ihre Smartphones als veritable Lichtquellen nutzen.
So ist der Rabensteiner Stollen – wie versprochen – ein spannendes Erlebnis für groß und klein.
Unter Dampf zurück den Berg hinauf
Von Netzkater fahren wir eine Station mit dem Triebwagen. Danach bringt uns eine der dampfbetriebenen Schmalspurbahnen den steilen Anstieg nach Sophienhof hinauf. (Tipp: Beim Umstieg in Eisfelder Talmühle sollte man unbedingt dem ganz in schwarz gekleideten, leicht mit Ruß und Kohleresten bedeckten Lokführer einen Wink geben, dass man in Sophienhof aussteigen möchte. Denn der Haltepunkt ist ein sogenannter Bedarfshalt.) Vom Bahnhof Sophienhof müssen wir schließlich noch einmal einen 500 Meter langen Anstieg bewältigen. Auf der Alm angekommen, belohnen wir uns mit einem leckeren Ziegeneis!
Und dann geht es auch schon wieder in den Stall zum Füttern. Die Ziegen warten schon ganz aufgeregt …